Ein Vorfall, drei Versionen: Wer sagt die Wahrheit?

FUSSBALL: Nach der Landesliga-Skandalpartie steht der Schiedsrichter in der Kritik / Trainer Schwabe kehrt zur LSV zurück

In der Fußball-Landesliga Rhein-Neckar steht gewöhnlich das runde Leder im Mittelpunkt. Seit Sonntag ist das anders. Das 4:0 des TSV Viernheim gegen die LSV Ladenburg interessiert kaum noch. Das, was danach passierte, dafür umso mehr. LSV-Spieler Hasan Gögercin soll einen Zuschauer geschlagen haben. Dieser - Bundesliga-Ringer Stefan Kehrer - hat den Verteidiger zuvor angeblich mit rassistischen Schmährufen zum Ausrasten gebracht (wir berichteten). Zurzeit gibt es drei Versionen der Geschichte: die von Kehrer, dem "Ringer des Jahres", die der LSV und die des Schiedsrichters.

Vieles deutet darauf hin, dass der Unparteiische eine unglückliche Figur abgegeben hat. "Der Schiedsrichter hat total versagt", meint LSV-Abteilungsleiter Herbert Rittlinger. "Hätte er darauf reagiert, als ihn unsere Spieler Gögercin und Sascha Leitz auf die Beleidigungen hingewiesen haben, wäre die ganze Sache nicht eskaliert."

Bei Siggi Müller, dem Geschäftsführer des Badischen Fußball-Verbands (BFV), stand gestern das Telefon nicht still. Auch was er berichtet, wirft kein gutes Licht auf den Schiedsrichter - obwohl sich Müller vor ihn stellt. Dass der Referee dem BFV-Geschäftsführer sowohl schriftlich als auch in einem Telefonat versicherte, kein LSVler habe ihn auf die Beleidigungen aufmerksam gemacht, wirft aber die Frage auf: Wer sagt die Wahrheit? Für Rittlinger ist die Sache klar: "Sollte der Schiedsrichter das wirklich gesagt haben, schlägt das dem Fass den Boden aus. Gögercin und Leitz werden ihre Aussagen beeiden."

Bei den Vorwürfen, die im Raum stehen, verkommt das Versäumnis des Referees zum Randaspekt, dass er den wegen der Vorkomnisse inzwischen mit einer Vorsperre belegten LSV-Spielern Gögercin, Tamer Tan und Battal Külcü keine Rote Karte zeigte. Obwohl der Schlusspfiff bereits ertönt war, hätte er das tun müssen.

Siggi Müller versucht, kein weiteres Öl ins Feuer zu gießen. "Wir warten jetzt erst einmal die Stellungnahmen der beiden Vereine ab. Klar ist, dass die Spruchkammer unter Zeitdruck steht, weil vor der Winterpause nur noch zwei Partien angesetzt sind." Ob der stark kritisierte Referee wieder zur Pfeife greift, scheint mehr als fraglich. Bestätigen will Müller das nicht, sagt aber: "Ich werde mit den Schiedsrichter-Verantwortlichen reden, denn der Unparteiische hat eine Rolle gespielt, die anscheinend nicht in Ordnung war."

Von den Tumulten bei der Landesliga-Partie erfuhr der BFV zwar schon am Montag, vom Auslöser mit eventuell rassistischem Hintergrund und der Schiedsrichter-Schelte aber erst gestern. "Das ist gerade wegen der jüngsten bundesweiten Vorkommnisse ein sensibles Thema. Ich hätte mir gewünscht, dass die LSV ihre Stellungnahme nicht nur an die Presse, sondern auch an uns schickt", sagt Müller. Rittlinger entgegnet: "Ich habe am Montag den ganzen Tag versucht, jemanden beim BFV ans Telefon zu bekommen - ohne Erfolg."

Genügend Ungereimtheiten? Mitnichten! LSV-Trainer Frank Schwabe gab gestern seinen Rücktritt vom Rücktritt bekannt. In einer E-Mail, die dem "MM" vorliegt, schreibt er: "Ich werde ab morgen auf Bitten der Mannschaft sowie des Spielausschussvorsitzenden Dagobert Bauer meine Tätigkeit als Trainer der LSV wieder aufnehmen . . . Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich den Verein und die Mannschaft in der schwierigen Situation nicht im Stich lassen kann." Herbert Rittlinger kann die ganze Aufregung nicht verstehen: "Frank Schwabe war nie weg. Wäre er zurückgetreten, hätte er sich bei mir abgemeldet. Das hat er nicht getan."

Indes bestritt Stefan Kehrer auch gestern vehement rassistische Äußerungen: "Das ist ein richtig linker Vorwurf. Das macht mich psychisch fertig. Ich bin Ringer des Jahres und Dritter bei der Europameisterschaft geworden. Als Sportsoldat könnte ich mir eine solche Entgleisung gar nicht erlauben." Kehrers Verein, Ringer-Bundesligist KSV Ketsch, steht weiter hinter seinem Schützling. Kehrer sei somit auch für den letzten Vorrundenkampf am Samstag in Aichhalden gesetzt, betonte Vorstandsvorsitzender Achim Reister.

© Südhessen Morgen - 30.11.2006